Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 37

 


 

 

 

 

 

  Dr. Brandstetter
 










knapp geschafft

Jedesmal, wenn der alte VW Passat seinen Dienst versagte, nahm sich Dr. Brandstetter vor, ihn zu verkaufen und endlich ein neues Auto zu erstehen. Wie so oft gab der Motor die üblichen Geräusche der Widerborstigkeit von sich: Stottern, ein Knall hinten am Auspuff, ein Jaulen wie von einer Kreissäge. Kreischsäge sollte man besser sagen, fuhr es Dr. Brandstetter durch den Kopf, oh ja, Kreischsäge, das musste er sich merken und morgen im Büro der Sekretärin Frau Grubolewski unterjubeln, die würde sich wundern über seinen Sprachphantasie und nicht lange zögern und weiß der Himmel was noch alles, was er sich gar nicht ausdenken konnte, so abwegig erschienen ihm die Möglichkeiten. Gut, er hatte schon manches mit der Sekretärin durchgepeitscht, zum Beispiel das Kondolenzkonvent für den Karnevalsprinzen, das in ein heikles Dreispartenschießen mündete, welches er aber, dank der Lockgerüche seiner Sekretärin, mit zwei erlegten Sauen knapp für sich entschieden hatte. 

Endlich sprang der Motor an. Befriedigt stieg Dr. Brandstetter aus, ging zurück ins Haus, hob den Telefonhörer ab und bestellte eine Pizza.

 

 

 

 

 


 

 

 

Jerry hatte wieder mal einen halb durchgelesenen Roman beiseite gelegt, übersättigt, abgenervt. An den Autor konnte er sich nur noch vage erinnern, es war wohl eine gewisse Irene Dische, jedenfalls weiblich, nicht aber mehr an den Titel des Romans und kaum noch an die Handlung. Was ihm am Arsch vorbei ging, das ging ihm am Arsch vorbei, und was ihm am Arsch vorbei ging, das vergaß er umgehend; eine Maßnahme des Aufräumens und der Gehirnhygiene. Viel zu oft in letzter Zeit hatte ihn die durchsichtige Machart des Schriftstellerhandwerkes angeödet. „Tricks und Winkelzüge des Mainstream, bah“, rief er, seinen Unmut der stickigen Wohnung anvertrauend, denn es war keiner sonst da, der ihm hätte zuhören geschweige denn aufmuntern oder widersprechen konnte. „Diese bemüht auf Spannung und Gefühl angelegte Strategie geht mir auf den Sack!“

Niemand im Raum wies ihn wegen der groben Wortwahl zurecht.

Jerry wanderte durch den Flur zum Badezimmer und schaute sich seine unrasierte Visage an. „Visage!“ spuckte er in den Spiegel.

 

Das artet noch in Selbsthass aus, dachte er und wandte sich ab, um Schlimmeres zu vermeiden.

 

Man müsste, dachte er, um an den übersprungenen Faden seines Erstgedankens anzuknüpfen, einen extrem langweiligen Roman schreiben, dem all die Kunstfertigkeitsplaste fehlt. Einen Roman, der das angelernte handwerkliche Raffinesse vermissen lässt, dem die Absenz erhabener Wortwahl und des eitlen literarischem Imponiergepupes ins Gesicht geschrieben steht, vielmehr in die Buchstaben gemeißelt, meinetwegen auch gegeißelt.

„Es muss belanglos sein, unspektakulär, banal, unprätentiös, absichtslos, ziellos“, rief Jerry zum Küchenfenster hinaus.

„Und kurz. Knallekurz. Damit auch diese andere Seite der Medaille in den kulturellen Schaukasten rückt. Nicht Armseliges aus Unvermögen sondern Armseliges aus Absicht.“

Er schlug seinen Laptop auf.



Erstgedanke

 

„Schon mal was von Daniil Charms gehört?“, flüsterte Diedel aus der Sofaecke.

 



Zwiegespräch

Aber Diedel war ja gar nicht zugegen. Jerry führte inzwischen schon Zwiegespräche mit Abwesenden, vorzugsweise mit Diedel; bei dessen Abwesenheit ersatzweise auch mit anderen Bekannten. Unlogisch, dachte Jerry, es sei denn, ich imaginiere die Abwesenheit Diedels doppelt. Einmal ist er sowieso nicht da, zum anderen ist er außerdem nicht da, weil ich ihn, wiewohl körperlich abwesend, bei der versuchten Aufnahme eines imaginären Dialogs zusätzlich als abwesend deklariere, um auch mal mit anderen Leuten imaginär zu kommunizieren, die ebenfalls abwesend sind, (aber diesmal richtig, sprich materiell abwesend, berichtigte sich Jerry in seinen Überlegungen zur Abwesenheit von Gesprächspartnern, mit denen ein Kontakt hergestellt werden soll zum Zwecke der Abwägung wohlformulierter Argumente), das ist mir jetzt aber zu kompliziert. Also zurück zum Thema: banale Geschichten schreiben.

 

 

Aber Diedel war ja gar nicht zugegen. Jerry führte inzwischen schon Zwiegespräche mit Abwesenden, vorzugsweise mit Diedel; bei dessen Abwesenheit ersatzweise auch mit anderen Bekannten. Unlogisch, dachte Jerry, es sei denn, ich imaginiere die Abwesenheit Diedels doppelt. Einmal ist er sowieso nicht da, zum anderen ist er außerdem nicht da, weil ich ihn, wiewohl körperlich abwesend, bei der versuchten Aufnahme eines imaginären Dialogs zusätzlich als abwesend deklariere, um auch mal mit anderen Leuten imaginär zu kommunizieren, die ebenfalls abwesend sind, (aber diesmal richtig, sprich materiell abwesend, berichtigte sich Jerry in seinen Überlegungen zur Abwesenheit von Gesprächspartnern, mit denen ein Kontakt hergestellt werden soll zum Zwecke der Abwägung wohlformulierter Argumente), das ist mir jetzt aber zu kompliziert. Also zurück zum Thema: banale Geschichten schreiben.

 

"Komisch", dachte Jerry, "hatte ich gerade ein Déjà-vu-Erlebnis?"

 

 

„Hallo, alter Sack“, meldete sich Diedel imaginär,

                                          „wir waren bei meinem Einwurf, den Daniil Charms betreffend.“

 

„Daniil Charms war absonderlich und hat Geschichten geschrieben, deren Inhalt absurd, jedenfalls nicht alltäglich war. Ich aber werde von wahren Alltagsbegebenheiten erzählen, so real, wie Alltagsepisoden eben sind. Keine künstliche Ausgestaltung, keine bemühte Zuspitzung, das ist die Devise. Außerdem kannte Daniil Charms die Da-Technik nicht“, trumpfte Jerry auf.

 

„Dada?“

 

„Nee, nix Dada. Da-Geschichten. Kürzestgeschichten im langweiligst-möglichen Stil, dem Gegenteil von aller Kunstfertigkeitshuberei. Stattdessen formal und in der Wortwahl dem Wahren und Echten angepasst, nämlich unmoduliert.“

„Wie wär‘s mit einem Beispiel?“

„Einem? Dass ich nicht lache. Viele werden es, unzählig viele.“

„Na dann los.“

„Eben, dann los.“

Wie immer, wenn Jerry sich in einen Schaffensrausch hineinsteigerte, wütete er in wenigen Stunden gewitterartig aufbrandende Kreationen heraus; in diesem Fall hämmerte er zig Romane in seinen Laptop. Die CD mit den Romandateien schickte er umgehend an den Fischer-Verlag. Um seinem Angebot den größtmöglichen Nachdruck zu verleihen, der eine Absage des Verlages praktisch unmöglich machte, wandte er einen todsicheren Trick an: Er kopierte die leicht aktualisierte Offerte eines berühmten Kollegen aus dem 19. Jahrhundert, der mit seinen Werken einen ungeheuren Erfolg bis in die heutige Zeit verbuchte: Meister Arthur Schopenhauer.

 

 „Sehr geehrter Herr Fischer,

mit diesem Schreiben und der beigefügten CD erlaube ich Ihnen, die verschiedenen darauf befindlichen Romane zum Druck in Ihren Verlag aufzunehmen. Dieses mein Werk ist ein neues literarisches System: aber neu im ganzen Sinn des Worts, nicht neue Darstellung des schon Vorhandenen, sondern eine im höchsten Grad zusammenhängende Romanreihe, die bisher noch nie in irgendeines Menschen Kopf gekommen ist. Diese Werke sind fern von dem sinnlosen Wortschwall der neuen literarischen Schule und vom breiten platten Geschwätz der Möchtegernschreiblinge allerorten. Eigentlich ist das Werk nicht zu bezahlen! Als geringen Ausgleich erwarte ich deshalb einen guten Druck, sorgfältige Korrektur, schönes Papier, Ledereinband.“

 

 

Jerry verwahrte sich dann noch gegen eine etwaige verzögerte Auslieferung wegen irgendwelcher durchsichtiger Ausreden und mahnte das Honorar an, das angesichts der Bedeutung seines Werkes vorab zu begleichen sei.

Diedel schüttelte den Kopf, aber nur imaginär.

 

Einige Wochen später, in der Alten Mühle, hob Diedel den Krug, ganz real, und brabbelte etwas von Hybris, krankhaftem Größenwahn und den daraus erwachsenden Folgen von Wut, Enttäuschung und Menschenhass. Jerry reagierte gar nicht darauf. Der Fischer-Verlag, rief er nach dem ersten Schluck Jever Pils, ist heruntergekommen auf das Niveau von Kindergärten und Laubenpieper. Das habe er, der er im guten Glauben gehandelt habe, allerdings vorher nicht gewusst.  

„Und nu?“ frug Diedel.

„Und nu kannste das im Internet gucken“, blaffte Jerry barsch, „wenn de denn das kannst, nämlich den DA-Knopf anklicken.“

 

                                                                                                      

 

 

 

 

 

 

Gesichter eines Lebens

            

 Jerry McTeshy                                      Jerry McTeshy                                     Jerry McTeshy                                     Jerry McTeshy

 

 

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