Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 42

 


 

 

"Vielleicht solltest du eine Autobiographie schreiben", mailte Rita, nachdem er ihr den Disput in der Kneipe geschildert hatte und den daraus hervorgegangenen Entwurf zu einem Herzschmerz-Thriller. "Mit diesen abgefuckten Plaste-Elaboraten unterforderst du dein Potenzial, ein Jammer. Was steckt eigentlich hinter deiner Weigerung, einen ernsthaften Roman anzupacken? Mangelndes Selbstvertrauen? Oder ist es die Furcht vor dem Versagen? Weil dann die Messlatte der ernsten Literatur angelegt werden kann? Weil das möglicherweise renommierte Kritiker auf den Plan ruft?"

Ernste Literatur! Renommierte Kritiker! Jerry spürte, wie sich sein Schädel mit Hitze auflud. An den Schläfen pochte ein Gast namens Ärger, der um Einlass begehrte. Sie hatte also nichts kapiert. Gleich dem Gesindel von den Feuilletons ging sie ohne die geringsten Zweifel davon aus, man könne in aller Naivität Geschichtchen erzählen, die über das wahre Leben Auskunft und der Welt eine Bedeutung geben. Die die Wirklichkeit mit geschmeidig gesetzten Wörtern getreu abbilden bzw. die mit scheinbar unverrückbaren Tatsachen unterfütterte Behauptung einer Wirklichkeit. Da wird dann ein Lebensschicksal breitfächig aufgezogen oder eine der Flut-, Schiffs- und üblichen Katastrophen; ein Dynastieverfall wird dick und fett in die Seiten gewalzt oder aber eine Familiensaga, obwohl schon im Ansatz Lug und Trug, oder gern auch ein Kriegs- oder Holocaustdrama; das angeblich historische Zusammentreffen von hochgejubelten Heroen muss unbedingt zu Papier gebracht werden und was immer da an gepflegtem Germanistengeschwätz auf dem Büchermarkt aufläuft. Na gut, er hatte wohl zu viel erwartet, hatte gedacht, wenigstens Rita…

"Ich schreibe an meinen Memoiren. So tief bin ich gesunken."
(Theologe Karl Barth)

"Der Roman ist eine veredelte Biographie."
(Jean Paul)

Jerry hielt inne. Hatte er seiner eigenen Theorie nicht getraut? Oder sie für einen Moment verdrängt, wohl aus einer Hoffnung oder einem Wunsch heraus, einer Hoffnung, die er sich lieber nicht eingestehen wollte? Seine Theorie besagte, dass sich jeder Mensch seinen persönlichen Biographiesalat zusammenmixt – genau genommen die gesamte Weltsicht – mit den Ingredienzien der Beschönigung, des Verschweigens peinlicher Momente, der Rationalisierung und Bestätigung langjährig verfestigter Lebenslügen und so weiter und so weiter – alles zusätzlich verfälscht durch die subjektive Auswahl der Ereignisse, durch die Begrenzungen des Kenntnis- und des Wortschatzes. Tausend Argumente fielen Jerry zusätzlich ein, aber es hörte ja niemand zu. Jedenfalls wäre eine realistische Beschreibung einer objektiven Welt und Wahrheit ausgeschlossen; nur eine Annäherung sei vielleicht möglich, vermutlich aber ebenfalls eine Täuschung. Und jeder Mensch verfolge seine eigene Täuschungsstrategie.

 

Das sowieso.

 

"Dieses ganze Leben, darin wir leben, ist nur ein eitel Traum."
(Martin Luther)

 

 

 

 

 

 

"Auch die gelesene Wahrheit muss man hinterher erst selber erfinden."
(J. W. von Goethe) 

 

 

 

 

 

 

 

"Alles, was wir hören, ist Meinung, nicht die Wahrheit."
(Marc Aurel)

 

 

War wenig originell und wahrscheinlich irgendwo abgeguckt.

Er hackte sein Enthüllungsmanifest gegen das Blendwerk von Welt & Wirklichkeit in den Computer und schickte es Rita.

So, das war das.

Das war es nicht ganz, denn er war ja vor seinem Notat zu den wichtigsten Problemen der Zeit davon ausgegangen, dass Rita seine Sicht der Dinge teilen müsse, dass sie ebenso wie er in all den Jahren zu den gleichen Ergebnissen hätte kommen müssen. Im Gegensatz dazu hätte sie sich nach seiner Theorie ein Bild zusammenkleistern müssen, dass seinem eigenen Bild höchstens in randdiffusen Umrissen ähnelte, wenn überhaupt.

Locker bleiben, dachte Jerry, Systemfehler stellen das System nicht außer Kraft, das handhaben in gleicher Weise die Philosophen wie die Naturwissenschaftler. Jeder Tatsachenroman ist – und da werden keine Abstriche gemacht, verdammt noch mal (das Verdammtnochmal dachte er sich doppelt unterstrichen) – eine Erfindung, jede Biographie ein Mahnmal der Täuschung und Glorifizierung, jeder dokumentarische Bericht eine Verfälschung, jedes Statement auf seine Wirksamkeit hin verbogen und sogar alle Variationen darüber, wie er sie jetzt selbst durchdekliniert hatte, lediglich karges Gestrüpp der überwältigenden, selbst mit dem umfangreichsten Wortschatz nie zu vereinnahmenden Vielfalt. Was also soll's.

Insofern hatte Rita ja recht. Mit ihrem Appell.

Schreib doch mal eine Biographie. Genau. Was ist schon eine Fiktion gegenüber einer Biographie!

Irgendetwas irritierte Jerry an Ritas Mail. War es der belehrende Tonfall? War es die für sie unleichte Art, mit einem Thema umzugehen? Oder die psychologisierenden Unterstellungen? Erst beim dritten Durchlesen entdeckte er den Grund seines Unbehagens: Sie hatte allgemein übliche Ausdrücke benutzt. Keine verqueren Formulierungen. Keinen ihren berüchtigten verknäulten Schwurbelsätze. Und dazu noch in korrekter Schreibweise und Typographie.

Was hatte das denn zu bedeuten?

Versteckte sie eine Botschaft hinter der Botschaft?

Hatte sie also doch kapiert, aber nicht akzeptiert?

 

"Was ist, wenn mir das Fabulieren einfach nur Spaß macht?" schrieb Jerry, ohne eine Antwort auf seine vorige Mail abzuwarten. Bevor er auf Senden mausklickte, setzte er noch schnell hinzu: "Meine Biographie glaubt mir eh kein Mensch. Ich müsste sie dem Geschmack der Massen und Moden angleichen. In dem Fall kann ich ja besser eines meiner abgefuckten Plaste-Elaborate abfassen, die täuschen den Leser wenigstens nicht."

"Was ist, wenn deine durchgeknallten Spaßgeschichten deinem sogenannten Leser keinen Spaß machen und er sie deshalb gar nicht liest?" schrieb Rita. Kein Wort zu seiner Theorie.

"Was ist, wenn mir das scheißegal ist?"

"Wie wäre es mit einem Blog? Dort könntest du täglich deinen Fabulierschrott loswerden."

"Blog ist was für eitle Selbstdarsteller mit Sendungsbewusstsein. Zwischen jeder Zeile stinkt die eigentliche Botschaft heraus: 'Ich bin wichtig'. Peinlich."

"Wir könnten twittern. Geht schneller."

"Warum sollte was schneller gehen sollen? Macht das irgendeinen Sinn?"

"Sinn?"

"Macht Biographie Sinn?"

"Macht Fabulierschrott Sinn?"

"Macht Vögeln Sinn?"

"Lenk nicht ab.

"Die Geschichte meines Lebens aufzuschreiben ist eine morbide und entwürdigende Aufgabe."
(Gilbert K. Chesterton)

 

 

Eine Woche Mailstille. Jerry musste neben dem Unterrichtsjob an der Musikschule noch ein Schülerkonzert organisieren, den Haushalt versorgen und den Hund ausführen, da seine Frau beruflich in München weilte. Die Abende wurden von Dauertelefonaten mit einer schrill keifenden Frau namens Verena Kannengießer-Rademacher vereinnahmt, der er zu verstehen gegeben hatte, dass ihre kackdoofe und konsumversaute Tochter Chantal-Antoaneta kein Jahrhundertgenie war und deshalb üben müsse, um ein Lied auf der Gitarre begleiten zu können. Die Worte kackdoof und konsumversaut hatte er nicht in den Mund genommen, dafür war ihm so etwas Ähnliches wie hyperaktiver Untereifer herausgerutscht, was zu einer Beschwerde beim Musikschulleiter geführt hatte und die abendlichen Therapiegespräche einleiteten. Die Mutter argumentierte eher nicht kackdoof, war aber wie alle Mütter überzeugt, dass aus ihrem Unterleib nur unvergleichliche Genialität ausschlüpfte. Beim dritten Abendgespräch konnte Jerry die Dame mit dem Ausschlüpfvergleich zum Lachen bringen. Am vierten Abend boten sie sich gegenseitig das Du an. Während der Therapiesitzung des fünften Abends brach Verena zusammen. Sie fing plötzlich zu schluchzen an, erst unterdrückt verknödelt, dann aber so ungebremst, dass Jerry sich ganz feucht um das Ohr anfühlte vom Schwall des Schniefens und Schnaubens, das aus dem Hörer sprudelte. Sie würde als Alleinerziehende nicht mehr klarkommen, sei völlig überfordert, alles würde über sie hereinbrechen. Die Tochter zeige nicht das geringste Interesse, weder an der Schule noch an anderen Dingen und sitze den ganzen Tag nur vor dem Fernseher oder am Handy. Die Telefonrechnungen wären ins Unermessliche gestiegen. Das neue 350-Euro-Handy habe Chantal-Antoaneta einfach mal bei McDonald's liegen lassen und ein billigeres Prepaidhandy lehne sie ab, da müsse schon ein iPhone her, besser noch ein iPad mit Touchscreen und Internetflatrate, sonst würde sie überhaupt nicht mehr…

Jerry vernahm die Worte, aber sie berührten ihn nicht. Diese Stories kannte er zur Genüge, und sie ödeten ihn an. Das ganze Thema ödete ihn an, diese die böse Welt anschuldigende Weinerlichkeit der Erziehungs-, Problem- und Versagensopfer. Kein Ton darüber außerhalb der Musikschule, das war strikte Abmachung zuhause, mit Diedel und überhaupt. Schade, dachte Jerry, die Frau hätte er gern näher kennengelernt, aber so.

 

 

"Unser Leben ist nichts als ein ausgeliehener Vorwand."
(Onkelchen Glitschig; aus Zhuangzi: 'Höchste Freude')

 

 

"Bist du sauer?"

Ritas Mail datierte vom Vorvortag.

Shit. Jerry zog den Cursor auf Antworten.

"No, hatte zu viel um die Ohren, wörtlich." Jerry gab noch eine Erklärung über den Grund der Ursache der Wörtlichkeit seines Ohrendebakels ab. Senden.

"Wenn alles und jedes nur Erfindung ist: Warum sollte man sich zurückhalten und gar nichts mehr schreiben?" Heh, Rita hatte seine Wutschrift gelesen. "Schadet das Biographieren denn jemanden? Gibt es irgendeine Alternative, wenn es nicht die Totalverweigerung sprich Stillschweigen in der eigenen Suppe des Zweifels und des egozentrischen Umsichherumeinigelns im Beleidigtseinstockwerk des turms des greinens und ohjemineohjemine-klagemauerns bittschön gebt mir!!! -das podium !!!gebt mir papier…! und platz'''#+*# und überhaupt gehör gehör gehör gehör jammertaltief so gehet es wehe wehe."

Diese Mail kam erst nach ein paar Tagen. Die alte Rita mit ihrer Schwurbeltechnik war durch das Konventionskorsett gebrettert.

Unterdessen hatte Jerry zwei Flaschen Whiskey oder Whisky oder sowas hinunter gekippt und einen Text über einen Kürassier in seinen Laptop gehauen.

Er antwortete: "Aha." Im Anhang die Datei mit dem Kürassier. Senden.

Mehr war nicht drin. Jerrys Schädel detonierte zu jedem Sekundenschlag, Blitzgewitter knallten in seine Augäpfel, grell furchte ein gleißend feuriges Schrapnell über seine Kopfhaut und riss eine brennende Wundschneise durchs lichte Haargestrüpp. Verfluchter Kater!     

 "Der Ehrgeiz des literarischen Künstlers ist es, vom Unaussprechlichen zu sprechen, in Wörter das mitzuteilen, zu dessen Übermittlung Wörter nie bestimmt waren."
(Aldous Huxley)

 

 


 

Der Kürassier von Monte Malo

 

Hinab galoppte der wilde Panzerreiter, Funkenschlag und Staubgewölle hinter sich lassen, und die Felssteinschwärme stoben auseinander von der Trappelwudcht der Hufe. Mit seinem Rappen Heini Husten durchmaß der Kürassier Antoninus Rosenklamm die Schlucht der gesäbelten Siebenbürger – von weitem glockten schon die Erze, wummerten die Schallwellen von den Turmanlagen der Grafenburg, droben auf dem Monte Malo.

"Ho Heini ho!" raunzte der Reitersmann seinem Rappen ins Ohr. Und der Rappe hustete eine Salve blutigen Schleims auf die kaltglänzenden Kiesel des Todestals, Echo auf Echo türmte sich an den Felswänden, und das höllische Gespann fegte grimm entfesselt durch den Karst, kein Gesäbelter hatte je Ähnliches erblickt. Es galt, eine lebenswichtige Botschaft zu überbringen, sie dem Grafen von Monte Malo vor die Füße zu werfen zur Rettung seines Hauses.

Plötzlich fanfarte ein Signal durch den Kessel aus Hufeisenschlag und Staubgestieber, von seitwärts brach es heraus, aus eine Felsspalte, noch unstet, noch zerfasert. War es die Vorhut der Rammbrigade des Feldwebels Korfhaut, der sich anschickte, den Weg des Kürassiers zu kreuzen, seinen Plan zu vereiteln? Wollte der harschknochige Haudegen dem Rappen ein Fuder Nagelklein in die Läufe kartätschen? Das Schmettersignal aus der Felsspalte pumpte und blähte im Takt, verlor an Kraft, hielt inne in einer Kakophonie aus Kreisch und Koller, klappte zusammen und implodierte. Ein Sog wie von tausend Laubsaugern fauchte auf und riss alles hinein in die Spalte, was nicht mindest das Gewicht eines Güterwaggons voll von Bleiplatten aufbrachte.

Dem Kürassier Antoninus Rosenklamm aber gelang es in letzter Sekunde, seinen Rappen mit einem Sporenstoß zum Todessprung zu schinden. Mit einem mächtigen Satz schnellte das Tier in das Düsterdunkel einer Höhle, die in einem Seitenwinkel aufschlundete und an deren Ende ein schales Licht glomm, welches ein Entkommen versprach durch heißbrodelnde Quellen und modrige Spinnengänge hinaus auf eine ungewisse Lichtung, wo der Generalissimus der gehorsamen Gebrestfacher auf sie wartete, um die Neuankömmlinge mit Eiterpest erklecklich zu versorgen und danach ins Fäulnisloch zu stopfen, darin sie von den triebigen Fleckfieberfachern einer fürsorglichen Behandlung zuteil würden.   

Doch so weit kam es nicht, denn Heini Husten, der Rappe aus der edlen Zucht Ostgrotaniens, blieb quer im Gußeisenrahmen der Eingangsschleuse stecken, eingeklemmt im rostenden Zwangsbett des Pförtners, und darob entwich seinem Fell das Pigment der Rappenhaftigkeit – von den Nüstern an bis in die Schwanzspitzen: Heini Husten war zum Schimmel erbleicht.

"Das ist nicht mehr mein Heini", klagte Rosenklamm bitterlich, "Husten war sein Name, doch nunmehr soll er Horst Leichenfeld geheißen werden."

Und der Schimmel wieherte in ungeschminkter Tonart.

Und der Kürassier weinte im Gedenken an die vergangenheitlichten Abenteuer auf schwarzem Pferderücken.

Und der Schimmel wieherte ein zweites Mal, diesmal in absteigender Tonfolge.

Und der Kürassier strich herzwund mit der unbehandschuhten Faust über seinen lockigen Kopf.

Und der Schimmel wieherte ein drittes Mal mit empfindsamen Verzierungen im obertönigen Spektralbereich.  

Und der Kürassier erschrak. In seiner Faust hielt er ein Büschel ergrauter Haare.

"Weh mir", rief der Kürassier, "die Pracht meines Schopfes ist hin. Kein Härchen dockt mehr an auf dem Rund meines Hauptes. So will denn auch ich meinen Namen aufgeben. Egon Viertel soll ich fürderhin geheißen sein, Egon Viertel, genannt der Argonaut."

Ein schwerer, ein falscher Entschluss, wie wir bald erfahren werden.

Und der Rappschimmel Horst Leichenfeld blies seine Nüstern auf, sprengte mit einem Huftritt der Verzweiflung das Zwangsbett des Pförtners und raste davon, noch Dekaden danach hallte der Fluch des Schlüsselknechtes von den Felsschründen. Ohne eine einzige Rast galoppte er durch die Nacht, bis die Silhouette des Monte Malo vor ihm aufstieg und den Mond verdeckte. Ermüdet sank Egon  Viertel vom schweißdampfenden Rücken des Rosses und pochte an die Falltür der Grafenburg. Doch der Zutritt wurde ihm verweigert. Zwei schattengleiche Wächter erhoben ihre Stimme und es klang wie aus einem Munde: "Einen Argonauten namens Egon Viertel, der mit einem Schimmel Horst Leichenfeld dahergegaloppt kommt, ist unsereins nicht bekannt. Da kann sogar kommen der Kaiser von Bratislavien, und es würde ihm kein Einlass gewährt."

"Eine lebenswichtige Botschaft bring ich", rief Egon Viertel, "es geht um das Schicksal des Grafengeschlechts samt und sonders und um die Belagerung von Australien in spe und um noch mehr."

"Kein Einlass, kein Einlass."

"Um einen fälschungssicheren Ausweis geht es und um den gelben Sack."

"Kein Einlass, kein Einlass."

"Um die Zwangsehe mit dem Buckligen geht es und um deren Verhinderung im Ganzen."

"Kein Einlass, kein Einlass."

"Um den Gottesbeweis geht es, er ist wohl geraten in der Schlafkammer der Witwe Hohler, und ich kenne die Lösung."

"Kein Einlass, kein Einlass."

"Dann geht es eben um die Verhaftung des Wachpostens der Grafenburg. Ergebt euch, oder es wird ein Wehleiden hoch vier einsetzen im Quadrat."

Die zwei Schatten stoben von den Wachtürmen auf. In welscher Manier artikulierten sie den folgenden Stegreif: 

"Verzieh er sich, bevor der Graf von Monte Malo es sich überlegt."

"Was soll der Graf sich überlegen denn?" frug vornehm der Egon Viertel alias Antoninus Rosenklamm oder umgekehrt.

Die Wachbrüder, ein Zwillingspaar aus dem Hause der Pfufften, überlegten lange. Der Tag schwand, der Abend breitete seine Galoschen aus, und die Nacht meldete vom Horizont aus die Ankunft eines Palettennaglers, der sich anschickte, die Grafenburg von Monte Malo mit einem undurchdringlichen Verhau aus eichenen Paletten einzusargen.

Flink hüpfte er herbei, der Palettennagler, und bevor der Morgen sein Grau ankleidete, war das Werk vollbracht und die Burg verbrettert.  

Monat um Monat verharrte der Kürassier vor der Palettensperre. Keiner der beiden Wachbrüder ließ sich erweichen, ihn einzulassen, konnten sie doch selbst nicht den Bretterwall durchdringen.

Allein, Egon Viertel blieb hartnäckig. Mal versuchte er es mit Zaubervorführungen, mal mit dem Rezitieren eines Bettelreimes, mal mit dem sechsfachen Wechsel seines Namens, die da lauteten:

 

Wassily Schluterjanewski, der kurze Protektor

Konquistador Gaddagadda aus dem Reich des Goldes und der Honigmilch

Papst Innocent in der Eisenlunge

Karl Kot, Schwertträger am Hosenband

Dr. med. Udo Leibnitz, Sprechstunde nach Vereinbarung

Verpisst euch, ihr Saugesellen

 

Nichts konnte die Brüder überzeugen.

Als letzten, als verzweifelten Versuch, die Schattengesellen über den Balbier zu löffeln, entbot der Kürassier ihnen ein unmoralisches Angebot. Dazu zwängte er sich in ein Korsett aus fleischfarbenen Linnen, schnallte sich einen Busenbeutel gefüllt mit Baumschwamm um die Brust und schmachtete gen Burgtor: "Vor euch steht Katharina II, die Große Hure, bekannt für ihren unersättlichen Hunger nach geschlechtlichem Kanonenfutter. Für den Augenblick hat sie, das heißt meine Person daselbst, einen Jacher nach schamlosen Sex mit derer von den Pfufften. Greift nur zu, ihr wackeren Wächter, euch stehen Tür und Tor der Großen Hure offen, wenn ihr wisst, was ich meine."

Einen Augenblick lang schwiegen die Brüder. Das unmoralische Angebot schien zu zünden. Sie schwankten, schöpften eine Prise Riechsalz aus ihren Haushaltsköchern und gaben nach einer Gedenkminute von ca. 20 Sekunden ihren Entschluss kund: "Kein Einlass, kein Einlass."

Der Kürassier gab auf. Nach all den ergebnislosen Mutationen, die ihm die Nutzlosigkeit der Darwinschen Evolutionslehre vor Augen führten, sah er das Ende seiner Zeit gekommen, und er schaufelte sich eine komfortable Grube, in die er sich um Mitternacht legte, um zu sterben. Seine Botschaft nahm er mit ins Grab auf ewig.

Noch viele Jahre graste sein treuer Schimmel Horst Leichenfeld vor dem Burgvorplatz. Ihm wurde ein Denkmal errichtet, das ihn als den stolzen Rappen Heini Husten zeigt, in Klammern alias Horst Leichenfeld.

 

 

Dazu der Kommentar unserer beiden Philosophen

 

SCHLOTTERDICK & ZERFRANSKI

 

Schlotterdick: „In der spielerischen Pose postmoderner Rationalitätsverweigerer verwachsen im Schicksal des Kürassiers die Wahrheitskapazitäten der Literatur mit dem eklektischen Diskurs zum konsistentabsenten materialistischen Äquivalent der Funktionalitätsimplikationen – ich verweise nur auf Heideggers Wort von den primären Modi der Existenzverneinung – und gehen in der Frühe des Gedachten ineinander auf.“

Zerfranski: „Das gilt es zu sehen!“

 

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