Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 39

 


 

 

 

Der Kaiser von Balustrien

 

                                                                                                       

Georg Neureuter, der einzelne Bewohner des Hauses Nr. 21 in der Gotenstraße, Einliegerwohnung zweiter Stock, betrieb sein Leben als Aktionsschleife, als Wiederkehr des immer Gleichen. Tagsüber sowieso, nachts nicht anders. Die Tätigkeiten, die den Ablauf des Tages wie die der Nacht in diese unverwandelbare Form gossen, sind einfach und an einem Finger abgezählt:

Den Tag verbrachte Georg auf seinem Balkon. Der ging zur Straßenseite hin.

Am Abend suchte er sein Schlafzimmer auf und legte sich ins Bett.

Nun bleibt uns noch der Morgen.

Da ist er, der Morgen: Georg Neureuter schlüpft aus seiner Schlafhose, legt sich einen blau-rot gestreiften Bademantel um und setzt sich wieder auf den Balkon.  

Einzelheiten wie Toilettengang, Frühstück und ähnliche Zumutungen werden hier übergangen.

Außen, am Balkongeländer, hat Georg Neureuter mit Blumendraht ein Pappschild  befestigt, auf das er mit brandroter Farbe eine Warnung gepinselt hat:

Balustrade des Ostreiches Balustrien. Betreten verboten.

Kurz vor 10 Uhr erhebt sich Georg Neureuter und tritt an das Balkongeländer. Nunmehr gibt die Turmglocke der Stadtkirche St. Jakobi das verabredete Zeichen: Sie meldet sich mit einem scheppernd-schwirrenden Krächzen und vollbringt anschließend ihre zehn Schläge, und nachdem der letzte Glockenton verebbt ist, beugt sich Georg Neureuter über das Geländer, hustet dreimal, rotzt einen Schleim auf den Bürgersteig und ruft im leiernden Tonfall eines Muezzins eine stets wortgleiche Proklamation über die Straße zum gegenüberliegenden Baumarkt und darüber hinweg.

„Ich, der Kaiser von Balustrien, gebiete allen Untertanen des Ostreiches die unbedingte Folgsamkeit. Wo es geraten scheint, wird der jeweils dritte Untertan in den Schröpfbottich geworfen.

Begutachtet, zweifach gelesen und abgezeichnet

Der  Kaiser von Balustrien.“

So ging es Tag für Tag, auch sonntags.

Manchmal lagerten Touristen vor dem Haus des Georg Neureuter und warteten auf seinen Auftritt. Sie zückten Photoapparate, nahmen Videosequenzen von der Proklamationsverkündung  auf und schickten die Bilder und Filme an Verwandte oder Freunde. Wie zu erwarten ließen es sich einige nicht nehmen, die Ansprache auf die Internetplattform youtube und in die gängigen Foren zu stellen. Alsbald wurden die unvermeidlichen Kommentare gepostet, die wiederum zu weiteren Stellungnahmen animierten. Einhelliger Tenor der Meinungen: wieder so ein Irrer, dem man keine Beachtung schenken sollte. Immerhin sei dem Auftritt eine gewisse Komik nicht abzusprechen.

Dann gab es noch die Unsäglichen, sprachlich arg benachteiligte Mitmacher der Foren (früher durfte man dazu Behinderte sagen). Sie twitterten Satzgebrösel zum „Kaisa un seine Aufzug“ wie z. B. geil, überirdisch (aber auch unterirdisch bzw. untervollgrottig), voll der Hammer, krasse Mutter eh und ähnliches, alles mit den blöden Icons und witzigtuenden Werkmitteln der Benachteiligten verunschmückt.

Bis eines Tages eine Gegenproklamation auftauchte. Ein gewisser  Jean-Kevin Grenzinger hatte sich auf seinem Balkon filmen lassen. Er rief in eine nur zu vermutende Menge von Gaffern:

„Nieder mit dem Kretin, der sich Kaiser von Balustrien schimpft. Ich, der Kaiser von Schrankistan, gebiete allen Untertanen des Reiches die Gefolgschaft, denn das rate ich denen da im Guten sowie beim Erblassen meines Antlitzes. Damit aber keiner auf den falschen Gedankenfall sein Liedlein geigt oder glaubt, sich hinter der Zipfelschürze der Großregentin verstecken zu  können, wird jeder dritte Untertan eingelocht, in der Raspelmühle zwiefach gequetscht und zum Verzehr geköchelt. Dies als Prophylaxe und Warnposaune!

Begutachtet, sogar vierfach gelesen und abgezeichnet.

Der Kaiser von Schrankistan.“

 

Das war lächerlich.

Und in einer seltsamen Ausdrucksweise vorgetragen, gelinde gesagt. Selbst der gewissenloseste bildungsverweigernde Loser mit migrantischem Hintergrund dürfte sich hier kopfschüttelnd abwenden und „sinnvolleren“ Tätigkeiten widmen, als auf diesen Quatsch einzugehen.

Das Gegenteil war der „Fall“ (Wittgenstein).

 

Denn es meldeten sich weitere Kaiser, die auf Balkonen thronten und heilsame Ansprachen an das Volk hielten. Die Bandbreite der Proklamationen erweiterte sich, die Inszenierungen wurden aufwändiger.   

So schmetterte ein feister Glatzkopf zunächst eine misstönende Fanfare auf einer Fußballtute, riss sich die Kleider vom Leib und schrie: „Auspeitschen sollte man alle. Ohne Ausnahme! Ich, der Kaiser von Bakalitien, eingekleidet mit der Märchen Robe, gebiete dem Gesamtvolk die Unterwerfung. Sonst Mord! Sonst Ausradierung!

Begutachtet, laut vorgelesen und mit Eigenblut abgezeichnet.

Der Kaiser von Bakalitien.“

 

Die Zahl der Proklamationsvideos erhöhte sich stetig, einhergehend mit der Tendenz zur Martialisierung der Ansprachen. Bislang sorgfältig unter Verschluss gehaltene Individuen, die sich allesamt als die einzigen und wahren Kaiser vorstellten, drängelten sich ins Internet und geiferten, nur sie seien berechtigt, des Kaisers Ode an die Unterwerfung zu reklamieren. Das Volk sei zu füsilieren, nachdem es notariell beglaubigt worden sei.

Sogar zwei weibliche Kaiser stellten ihre Verkündigungen in ihre Blogs, die eine vollständig entblößt, die andere mit Rattenschwänzen behängt. Beide kreischten unverständliche Laute in eine Blechbüchse. Exegeten des Kreischgetöses glaubten die Worte Schweinepack und Dreckskerle herausgehört zu haben, worauf die Schwulenpartei „Rosa Block“ mit einem Gegenkaiser konterte, der süffisant grinste und statt einer Ansprache sein respektables Glied aus der Hose zerrte und mit einem ebensolchen respektablen Strahl vom Balkon pinkelte.

 

Wie ging es weiter? Kam es zu progromartigen Ausschreitungen unter dem Zeichen der Kaiserkrone?

 

Wer dies in Erfahrung bringen möchte muss Jerry fragen. Der weiß Bescheid. Jerry ist allerdings zurzeit nicht zu erreichen. Er ist unterwegs. Unterwegs nach Augsburg, wie er auf einer Rund-SMS mitteilte.

 

Augsburg?

 

Es wird gemunkelt, dort wolle sich Jerry zum Kaiser krönen lassen (Diese Version allerdings wäre eine der armseligen Pointen, mit denen Schriftsteller ihr Geschreibsel enden lassen. Von Jerry erwarten wir was anderes!)

 

                                       Und nu?

 

Tja.

 

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