Hans Joachim Teschners

 

Lebens-Quark 17

 

 


 

                              bruder                             

 

 

Wir waren sieben Brüder. Ein bunter Haufen, aber das hielt nicht lang. Georg, der älteste, ging mit 18 in die Fremdenlegion. Es kam aber nie eine Nachricht oder amtliche Bestätigung aus Algerien oder Marokko. Das waren die Länder, in denen wir die geheimnisumwitterte Fremdenlegion vermuteten. Wir warteten täglich auf eine aus Packpapier oder einem Bierdeckel zurechtgeschnittene Postkarte mit einer orientalischen Briefmarke, die wir dann stolz den Freunden präsentieren wollten: Seht her, unser Bruder besteht Abenteuer in fernen Ländern, davon hätte Karl May ein Lied singen können. Im Grabe würde der sich umdrehen.

Das Orientalische an der Briefmarke malten wir uns als ornamentreiche Darstellungen aus, eine Oase beispielsweise, vor deren Moschee eine Fata Morgana einen Bauchtanz vorführte. Oder ein Kamel, das mit seinem langen Rüssel in den Zweigen einer Dattelpalme nach Kokosnüssen schnüffelte. Wir wussten nicht, dass Kamele keinen Rüssel haben. Genau genommen war es uns egal. Deshalb auch die Kokosnüsse auf den Dattelpalmen. Wir dachten uns immer alles nach Gutdünken aus – das Orientalische sowieso –, eine Eigenschaft, die zumindest mir später nicht gerade bekömmlich war sowohl im beruflichen Fortkommen wie auch in der Ansehung meiner Reputation als einzig überlebender Zeuge und Nachweiserbringer meiner Sippschaft.

Doch halt, der Weg ist abgebogen und beschreitet krumme Abseitigkeiten, die zu erwähnen nicht gerechtfertigt scheinen in Hinblick auf die anfangs eingeschlagene Genealogie.  Zurück also zu Georg, dem Ältesten. Ihn haben wir nie wiedergesehen noch von ihm gehört. Neulich habe ich im Internet eine Seite mit seinem Namen gefunden. Er soll ein Fischgeschäft in Cuxhaven betreiben und Kassenwart beim Kegelverein sein. Er schmückt sich mit einem falschen Nachnamen, der Lump.

                        

 

Helmut, der mit der Warze, wurde auch nicht alt. Nach der vierten Klasse verschwand er aus unserem Leben. Es hieß, er würde jetzt die Oberschule besuchen. Für eine Lüge war er sich sowieso nie zu schade.

                    

 

Es blieben dann fünf Brüder. Zwei davon kann man gleich abhaken, denn sie gaben sich für eineiige Zwillinge aus. Sie bewohnten das Eckhaus am Ende der Straße und waren nicht wohlgelitten unter uns anderen. Weil sie schielten. Mit denen wollten wir nichts zu tun haben.

         

 

 

 

Zusammengenommen blieb ich als Einzelkind zurück.
Meine Schwestern Hiltrud und Gertrud konnten mir ja keine Brüder ersetzen.

  Dr. Brandstetter 
 






 
 

Pflegeleicht

 

Dr. Brandstetter empfand das alles als Belastung. Alles, was mit Bewegung zu tun hatte. Schweigend im Stuhl zu sitzen, nicht einmal mit den Wimpern zu zucken, das ging gerade noch. Allein das Atmen, wenn man doch nicht ständig atmen müsste. Vor dem Feierabend graute ihm. Den Schreibtisch aufräumen. Den Mantel überwerfen. Die Tür öffnen. Die Tür schließen. Sich zum Fahrstuhl bemühen. Ein „Grüß Gott“ entbieten müssen. Womöglich mehrmals. Welch ein Alptraum, welch grässliche Nachtmahr.

Dieses Wochenende würde er einen Schlussstrich ziehen. Würde einfach sitzen bleiben. Die Putzfrauen würde er schon ertragen können. Dann Ruhe. Stille. Eine himmlische Unbewegtheit über zwei Tage und drei Nächte hinweg.

Die Putzkolonne machte kein Aufhebens von ihm. Überall saßen sie jetzt herum in den Büros. In ihren Papierkörben hauste die Einöde. Mit einem resoluten Griff wrang die Aufwartefrau den Feudel aus und fuhr damit über seine Nase und seine Wangen. ‚Pflegeleicht sind sie ja‘, dachte sie und sprühte noch eine Brise Ajax Glasrein auf seine glanzlosen Pupillen.

 

 

 

 

 
 

 

 

 

Rockmusik machten beide nicht mehr. Diedel musste eine Frau und drei Kinder versorgen, da blieb keine Zeit mehr fürs Rumdaddeln, Durchsaufen, Sumpfen, Gyrosfressen, Vollblödlabern, Groupies anbaggern, Aufdiekackehauen und dergleichen mehr, was eben zu einem Rockdasein gehört, ganz abgesehen von den Gigs und den Sessions. Üben hätte man auch müssen, und wer soll eigentlich das Equipment bezahlen? Jerry wiederum hatte sich einen Job als Gitarrenlehrer ergattert, daraufhin das Musikstudium geschmissen und reiche Ernte eingefahren in Form eines monatlichen Gehalts, das zum Leben reichte, nicht aber zu Sperenzchen rockmusikalischer Art wie die oben beschriebenen, man muss ja nicht jeden Satz wiederholen.

Manchmal trafen sich die alten Kumpel und Exrockgitarristen zu einem unverbindlichen Meinungsaustausch.

„Pop-Vozzen, mehr sage ich nicht“, sagte Diedel, „Vozzen mit V wie voce von Stimme, du weißt schon.“

„Gut gesagt“, sagte Jerry, „aber ich sage dir, dass es früher auch nicht besser war.“

„Was du nicht sagst“, sagte Diedel, „und ich sage dir wiederum, was Sache ist, nämlich der Niedergang der Rockmusik in seiner vollendeten Bandbreite. Wegen der Pop-Vozzen. Wegen der Castingtussies. Nicht zu vergessen die vermeindlich taffen Frontfrauen der Poppbands, und ich sage ausdrücklich Popp mit Doppel-P und nicht Pop, dieses Gesockse mit seinem Wichtiggetue und tausendfach ausgelutschten Harmonien und verblasenen Beziehungsgeblubber und kitschigen Volksmusikantentexten und dünnschissschlagermäßigen bis möchtegernfrechen Mainstreamsongs haben die Rockmusik in die Steinzeit dieser Musikgattung zurückgeworfen, keine Innovation, keine neuen Ideen, kein Wagnis, nur Selbstbefindungsgeplärre, Mittelmaß und Girliehuberei. Von den Milchbubies in den Bands ganz zu schweigen, eine eitel posierende Anbiederungsspezies, deren Daseinszweck sich im Schnüffeln nach den Hormonsekreten der Sängerinnen beschränkt, nicht unähnlich den altgeilen Feuilletonkritikern, deren Eier schon platzen, wenn sie die Wackelärsche und Lolitatitten interviewen dürfen. Die Weiber aber können es nicht. Das sage ich!“

„Kaum gesagt, schon ausgespuckt“, sagte Jerry.

„Pop-Vozzen, sagte ich bereits “, sagte Diedel, „und ich sage“, hier wurde er unterbrochen.

„Ich sage sagt die Merkel auch immer“, sagte Jerry.

„Und ich sage jetzt und immerdar: Der Schreiber dieser Episode verstößt gegen die elementarsten Regeln des guten Stils. Immer nur sage sagte sagen. Wer hat diesen Mist eigentlich zu Papier gebracht, frage ich diesmal statt zu sagen.“

„Denn dieses da sagt alles“, sagte Jerry.

„Voll die Sagung“, sagten beide wie aus einem Mund.

 

 

                         

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