Hans Joachim Teschners

 

Lebens-Quark 16

 

 


 

 

 

Einen Hang zur Verrätselung seiner Lebensumstände, die mit der Verästelung seiner Verrätselung einherging, verspürte er sehr spät. Da hatte Jerry McTeshy bereits seine Lebensmitte übersprungen, sofern man die versicherungsmathematische Lebenserwartung zugrunde legt mit einem gehörigen Methusalemzuschlag, man kann ja nie wissen. „Es wäre der eigenen Reputation abträglich“, bemerkte Jerry einmal beim Heben eines Bierkruges, „wenn man sein Bergfest übereilt auf eine Verfrühtzeit gelegt hätte und später beim Erreichen des berechneten Lebensabschlussdatums feststellen muss, dass in Anbetracht des gesundheitlichen Zustandes noch ein paar Jährchen drinliegen könnten, ja, dass signifikante Anzeichen für eine hohe Wahrscheinlichkeit dieser Annahme nicht abgestritten werden können. Dann hätte man den Salat. Zum Hempel hätte man sich gemacht, zum Demenz-Onkel und großpupsenden Aufschneider.“

„Fatal ist gar kein Ausdruck“, nickte Diedel und hob ebenfalls einen Bierkrug.

„Man möchte schier das Handtuch ins Korn werfen.“ Jerry wischte sich den Schaum von den Lippen.

„Exakt. Einen unverbesserlichen Zausel würde man denjenigen, um den es hier anscheinend geht, schimpfen.“

„Und nicht nur das“, legte Jerry nach, „derjenige, um den es hier geht, hätte mit demjenigen, um den es hier nicht geht, noch eine Rechnung offen, die demjenigen, um den es hier nicht geht, von demjenigen, um den es hier geht, unter Verweis auf die Berechnungen desjenigen, um den es hier geht, nicht beglichen werden könnte, wenn nicht derjenige, um den er hier geht, seinen eigenen Berechnungen zuwider den Lebensabschlusszeitpunkt desjenigen, der der derjenige ist, um den es hier geht, unzulässig überschreitet.“

„Man wundert sich“, sagte Diedel, „wie einfach alles ist.“

 

 


 

 

„Der hat mehr Schiss als Vaterlandsliebe“, röhrte mein Onkel Bastian, der gern mit gußeisernem Eigensinn den Zweiteweltkrieghelden und –verfechter herauskehrte. Wir standen vor dem Fahrgeschäft Geisterbahn und mein Onkel hatte nur einen Arm. Der andere hing als Stumpf in einer schmutzigen Schlinge. Manchmal befestigte Onkel Bastian einen Eisenhaken an den Stumpf. Dann sah er aus wie ein Seeräuber. Mit dem Haken konnte er ein Herrenfahrrad hochheben. Oder an der Schießbude das Luftgewehr in die richtige Position bringen. „Ich habe noch nie eine Fahrkarte geschossen“, dröhnte er antiquarisch und tatsächlich traf er jedesmal mitten in die Scheibe. Die Trophäen wurden mit kameradschaftlichem Gruß an mich und meine Schwestern Hiltrud und Gertrud verteilt, mal gab‘s einen Plüschbären, mal einen Luftballon oder auch knallbunte Lutscher am Stil. „Solch ein Geplänkel erledigt unsereins mit einer Hand!“ krawallte Onkel Basti anschließend in den Kirmestrubel, bevor er zur nächsten Schießbude stapfte. Mit unsereins meinte er die Frontschweine aus dem Schützengraben, die dem Russen eine Lektion in Scharfschießen erteilt hatten, eine Schulstunde mit Toten und Verletzten, denn der eine oder andere ‚Iwan‘ habe ins Gras beißen müssen, was kein Schade gewesen sei bei den Opfern auf ‚unserer‘ Seite. „Der Iwan frisst aus der Kloschüssel!“ Mit dieser Behauptung veranschaulichte der dekorierte Landser Bastian (EK 1, EK 2, Eichenlaub) die kulturelle Unterlegenheit des Slawen.

Ich sah bewundernd zu meinem Onkel auf und hoffte, bei mir würden erbbedingt die gleichen Anlagen vortreten. Leider stellte sich heraus, dass ich von seinen Schießfertigkeiten und seinem Löwenmut nur einen seltsamen Humor geerbt hatte, sofern man den Umstand vernachlässigt, dass die Mendelschen Gesetze diese Erbfolge gar nicht vorsahen und dieser mein Humor irgendwo anders herrühren musste.

Vor der Geisterbahn jedenfalls ließ mich Herr Mendel vollends im Stich. Mir sackte das Herz und nicht nur das in die Kurzhose Marke Kübler, und ich wollte nur noch weg. Mein ‚Schiss‘ präsentierte sich mit erlesener Qualität, übertraf die ohnehin schwach ausgeprägte Vaterlandsliebe um ein Vielfaches und emanierte sich in die Küblerhose mit einem Quantum von ‚vorzüglicher Erheblichkeit‘ (I. Kant).

Derweil vergnügten sich meine Schwesterntruden Hil und Ger in der Überschlagschaukel. Da wurde gejuchzt und gequietscht und die Petticoats raschelten und blitzten im Vorübersausen. Wenn man sagte „Es blitzt“, dann machte man das Weib darauf aufmerksam, dass der untere Saum ihres Unterrocks hervorlugte, eine lusterregende moralisch grenzwertige Vorwitzigkeit,  die einer Aufforderung zu sexueller Ausschweifung, heimlichen Küssen und sowieso Sodom und Gomorrha gleichkam. Onkel Basti missbilligte die ausufernde nachkriegliche Zügellosigkeit, knurrte „bei Adolf hätte es das nicht gegeben“ und drohte mit seinem Haken. Dann aber zog es ihn weg zum nahen Schießstand, und ich Schisser ohne Vaterlandsliebe trat drei Schuss später den Besitz des Treffergewinns  an. Diesmal war es ein Knackfrosch, den ich – Ursache und Kriegsschmach verwechselnd – auf den Namen Iwan taufte und begeistert betätigte. Jeder Knack signalisierte den Abschuss eines Kriegsgegners.

Und so zuckelten mein Onkel und ich zufrieden nach Hause: Er mit einer persönlichen Bestmarke von 21 durchlöcherten Zehnen, 3 Neunen und 4 Achten, die er allesamt auf seine Abschussliste „Russenverluste vor Stalingrad“ verbuchte. Ich hinterdrein, unentwegt knackend, wobei jeder Knack einen deutschen Landser niederstreckte. Als wir zuhause ankamen, hatte mein Iwan die angreifenden Teutonen in die Flucht geknackt und in den Straßenschlachten vor Stalingrad deren geschichtlich verbürgte Niederlage...

Schleuniger Abbruch dieser Episode, da sie ohne erkennbare Notwendigkeit eine defätistische Eigendynamik zu entwickeln droht, die den Verfassungsschutz auf den Plan zu bringen imstande ist und Glatzen, Neonazis und sonstige Sturmbannführer gegen den Autor unter die Quadriga oder war es Fattwa? jedenfalls dieses Bannstrahlding zu schleudern verleitet und da höre ich lieber auf und bestätige gern den mir zugeschriebenen Schiss, der die Vaterlandsliebe dampfend unter sich begräbt.

 



















 

Wie konnte ich mich nur so gähenlassen?

Wäret den Anpfängen!

Lasset kein Gedankenbös zu , schon gar nit an die Kindlein!

Stählet die Nachkommschaft schon prägeburtlich!

 

Gäbt den Frühchen Mozart zu lutschen drinnen im prallen Leib sowie Englischvokabulatur an die Bäcklein!

 

Kein Sekund darf nichtsnützig verströmelen, das Prekariat winket sonst!


Deshalb:

Unbedingt Lehrangebote schon im Gebürtswässer!

Schwimmkurse, Jiu Jitsu nassforsch, Abzählreime (mährsprachig) für die einzuleitende Ächzellenzkarriere!

Deshalb:

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Ritas Macker Karl-Heinz gilt als pflegeleicht. Er macht alles mit, murrt nicht, verliert keinen Fluch über entgangene ebay-Schnäppchen oder verpasste Urlaubsliebschaften. Nein, genügsam schiebt er seinen im ‚Saloniki‘ runderneuerten Bauch durch die Gegend. „So etwas nenne ich Gemütlichkeit“, ruft Jerry, „weiß Gott, ich gäbe ein Pferd, wenn ich auch einen imposanten Bauch vorweisen könnte. Solch ein Bauch konstituiert die individuelle Unverwechselbarkeit seines Trägers und ersetzt glatt den Personalausweis, möchte ich behaupten.“

Einschub zu Ehren des Deutschlehrers Huber, der sprachliche Ungenauigkeiten wie die in Jerrys Replik auf der Stelle aufspießen und korrigieren würde:„Möchte behaupten? Möchte? Ja Mensch, dann behaupten Sie doch.“

Ende der Korrektur und des ‚Einschubs‘ (Myles na Gopaleen)

Rita ist sich nicht sicher, ob sie die mit Gemütlichkeit beschriebene Wesensart ihres Mackers gutheißen kann. Sie würde schon ein wenig mehr Aktion begrüßen. Was sie mit Aktion genau meint, darüber lässt sie sich nicht aus. „Die Offenlegung würde meine Illusionen zerstören“, lautet ihre Antwort, und sie klingt keineswegs geziert oder detailbesessen figuriert. Eher schon müsste man den Fragenden an den Kandelaber Prater stellen, andererseits vermisst man dafür plausible Gründe. Die Bauchhaftigkeit eines Personalausweises steht zur Disposition wie auch umgedreht die Personalausweishaftigkeit eines Bauches. Was vorher galt, gilt nicht mehr. Es scheint, als habe der Einschub zu Ehren des Deutschlehrers Huber die anfangs stringente These über die Ersatzfunktion eines Bauches zum Erliegen gebracht.

Zu Recht oder Unrecht, wer wollte den ersten Stein zu werfen? 

 

                         

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